EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Elterngespräche an der Türangel

Die Mammutschule in Ahlen hat auf dem Weg zum Familiengrundschulzentrum einen langen Prozess durchlaufen. Ging es anfangs primär um Fragen zu Organisation und der Rollenklärung zwischen den an Schule befindlichen Akteuren, hat sich im Prozessverlauf viel auf den Beziehungsaufbau zu den Familien und dessen Pflege konzentriert. Dabei hat sich viel an der inneren Einstellung gegenüber Eltern verändert. „Wir waren früher ein stückweit arrogant und haben Eltern viele Grenzen aufgezeigt“, sagt Elke Walter, Schulleiterin der Mammutschule. Die Eltern haben sich dadurch aus der Schule zurückgezogen. „Die Entwicklung zum Familiengrundschulzentrum hat uns die Augen geöffnet.“

2017 hat sich Ihre Schule zu einem Familiengrundschulzentrum entwickelt. Mit welchen Hoffnungen war das für Sie verbunden?

Elke Walter: Dass ich hier nicht mehr alleine in der Leitung bin. Das hat nichts mit meiner Leistung als Schulleitung und die der Konrektorin zu tun, sondern es blickt schlichtweg noch eine weitere kompetente Ansprechpartnerin auf dieses System Schule. Das ist für mich unglaublich bereichernd. Ich habe eine Unterstützung durch den kollegialen Austausch, insbesondere was Elternarbeit anbelangt. Ich habe die Möglichkeit, die Beantwortung der an Schule auftretenden Bedarfe der Eltern von den Lehrkräften wegzunehmen. Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen können sich wesentlich mehr auf die Kinder konzentrieren und das Familiengrundschulzentrum hat die Elternarbeit im Blick. Wir führen diese beide Perspektiven selbstverständlich zusammen. Sie stehen nicht singulär nebeneinander, sondern wir führen sie zusammen und schauen, was der Einzelne von uns übernehmen kann und was er dazu braucht.

Diese Art der Arbeit ist für mich unglaublich entlastend und für das Kollegium ebenfalls. Wir hatten vor kurzem die Situation, da ging es einem Kind gesundheitlich sehr schlecht. Arabisch sprechende Eltern und das Mädchen spricht ein bisschen deutsch. Es verstand überhaupt nicht, was mit ihm los war. Die Lehrerin hatte Angst um die Kleine. Das Familienzentrum hat dann geschaut, wo arabisch sprechende Ärzte sind und die Familie begleitet. Ist das nicht wunderbar?

„Oft ist es gar nicht wichtig über die Leistungen der Kinder zu sprechen, weil diese auch Spiegel der Bedarfe der Eltern und der Kinder sind. Wenn wir an diesen arbeiten, etabliert sich auch die Leistung.“

Sie haben sich 2015 das erste Familiengrundschulzentrum an der Sternschule in Gelsenkirchen angeschaut. Als Sie nach Ahlen zurückgekehrt sind, war für Sie klar, dass wollen Sie auch an Ihrer Schule. Warum?

Ausschlaggebend war zum einen natürlich die gerade beschriebene Entlastungsfunktion. Zum anderen haben wir gemerkt, dass sich unsere Eltern aus Schule zurückziehen. Wir haben damals viele Grenzen aufgezeigt und in einem starren Konzept gelebt: Es gab Regeln für das Betreten der Schule und des Klassenraums durch die Eltern. Mit den Eltern sprach man an Elternsprechtagen. Ich würde uns ein stückweit als arrogant bezeichnen. Wir haben viele Vorgaben gemacht, aber nicht die Eltern gefragt, was ihre Bedarfe waren. Es führte dazu, dass Elternsprechtage und Elternabende sehr schlecht besucht waren. Unsere Haltung war, dass die Eltern nicht wollen, blockieren. Die Entwicklung zum Familiengrundschulzentrum hat uns ein stückweit die Augen geöffnet. Das war ein langer Schulentwicklungsprozess und wir schauen nun ganz anders auf Eltern: Was sind ihre Bedarfe? Was brauchen sie von uns?

An der Mammutschule gibt es ja keinen klassischen Elternsprechtag mehr. Wie führen Sie nun den Dialog mit den Eltern?

Wir möchten den Dialog mit den Eltern unabhängig führen. Wir haben im Kollegium festgelegt, dass mindestens zweimal pro Jahr mit jedem Elternteil gesprochen wird, aber ohne Anlass. Das kann der Austausch von Kochrezepten sein oder man sagt Eltern einfach mal, wie wunderbar ihr Kind schreiben kann und dass es unbedingt in eine Schreibwerkstatt muss. Es können Türangelgespräche sein. Wenn Eltern nicht um eine bestimmte Uhrzeit zur Schule kommen können, können wir auch einfach miteinander telefonieren oder über Video sprechen. Und oft ist es gar nicht so wichtig über die Leistungen der Kinder zu sprechen, weil diese auch Spiegel der Bedarfe der Familie, der Eltern und der Kinder sind. Wenn wir an diesen arbeiten können, etabliert sich auch die Leistung.

Sie sagen, dass Sie auf Augenhöhe mit Ihren Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Das ist manchmal einfach gesagt. Was heißt das genau für Sie?

Es ist unser Ziel, auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten und daran müssen wir jeden Tag arbeiten. Ein Beispiel: Denise, unsere FGZ-Leitung, und ich arbeiten seit drei Jahren zusammen. Wir haben beide ein gemeinsames Basiswissen, aber unterschiedliche fachliche Ausprägungen. Das zu akzeptieren und sagen zu können, du kannst das besser als ich, dafür mache ich andere Sachen, ist für mich auf Augenhöhe. Hinzu kommt Wertschätzung. Wir sorgen füreinander. Wir protokollieren und reflektieren jedes Gespräch und haben eine Feedback-Kultur. Wir erlauben uns Emotionen. Wir weinen zusammen, wir lachen zusammen, wir sagen aber auch: Pass mal auf, das finde ich jetzt so nicht in Ordnung. Die Entscheidungsgewalt ist aufgeteilt. Wenn Denise Entscheidungen für Eltern und Kinder trifft, dann sind sie fundiert und ich hinterfrage sie nicht.

Wie regelmäßig tauschen Sie sich als Schulleitung mit Ihrer FGZ-Leitung aus?

Wir haben vor allem am Anfang viel gesprochen. Da mussten sich noch die Rollen finden. Wir sind ja auch als Lehrkräfte manchmal gerne so: Hier nimmt mir jemand was weg und das sind meine Kinder. Wir haben also erstmal eine Rollenklarheit geschaffen. Zu Beginn hatten wir ganz klare feste Strukturen. Wir treffen uns jeden Morgen um neun Uhr und sprechen miteinander. Das ist jetzt unspezifischer. Sie weiß, wann ich Zeit habe, dann nehme ich mir die Zeit und wir sprechen und reflektieren. Wir nehmen unserem Maßnahmenkatalog und schauen, was Eltern in dem Moment guttun würde. Unsere Strukturen sind weicher geworden, das macht das Ganze nicht mehr so starr. Es ist aber auch ein Prozess. Wir merken wie Lehrkräfte immer öfter auf Denise als FGZ-Leitung zugehen. Sowas können wir nicht initiieren. Hier ist Vertrauen notwendig, eine gemeinsame Basis. Ich glaube, dass hier der Schulleitung eine wichtige Rolle zukommt. Wir haben eine Vorbildfunktion was Haltung und Wertschätzung angeht und auch bei einem Prozess zur Entwicklung eines Familiengrundschulzentrums ist zentral, dass die Schulleitung immer wieder deutlich macht, dass sie das will.

Was bedeutet es auch Eltern gegenüber auf Augenhöhe aufzutreten?

Ich muss eine Klarheit und eine Bewusstheit über mich haben. Und ich muss mein Gegenüber so akzeptieren, wie es mir gegenübertritt. Wir haben einerseits Grenzen, aber ich nehme Eltern in ihrer Bedürfnislage wahr. Wenn Eltern früher in die Klasse gegangen sind, dann war das für die Kollegin oder den Kollegen nicht schön. Das stört. Diese Fälle hatten wir ständig. Aber wenn man auf die Eltern blickt, kann man ihr Handeln nachvollziehen. Sie machen sich Sorgen. Was passiert hier mit meinem Kind? Wie sieht der Unterricht aus? Viele unserer Eltern kommen aus bildungsfernen Kontexten. Sie können mit dem System Schule wenig anfangen.

Augenhöhe bedeutet deshalb auch für mich, Eltern zu signalisieren, dass sie unsere Bildungspartner sind und wir sie brauchen. So habe ich nicht immer gedacht. Das war ein langer Prozess. Ich habe viel von Denise gelernt, die zertifizierte Elternberaterin ist. Das kommt nun auch langsam im Kollegium an. Sie verabschieden sich von alten Bildern und fragen Eltern in dem Moment, was ihre Motivation ist, so zu Handeln. Das sind kleine Schritte. Wir haben noch unglaublichen Optimierungsbedarf, aber wir sind auf einem guten Weg.

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Marisa Klasen und Daniela Zentner, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Ahlen
Schule: Mammutschule Ahlen