“Wir nutzen Daten, aber sie sind nicht alles”
Immer mehr Kommunen setzen auf ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement. Welche Rolle können Daten für den Aufbau und die Angebotsgestaltung von Familiengrundschulzentren spielen? Wo liegen die Chancen, aber auch die Herausforderungen? Das haben wir Yvonne Becker-Schwier gefragt. Sie ist die Kommunale Koordinatorin für Familiengrundschulzentren in Bielefeld. Bielefeld veröffentlicht in regelmäßigen Abständen den Lebenslagenbericht.
Frau Becker-Schwier, Sie arbeiten im Büro für Sozialplanung. Welchen Vorteil hat es Ihrer Meinung nach, dass die Familiengrundschulzentren dort verortet sind? Was bedeutet das für die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit?
Yvonne Becker-Schwier: Das Büro für Sozialplanung arbeitet – wie der Name schon sagt – integriert und präventiv: Schule ist ein Ort, an dem integriertes Arbeiten sehr wichtig ist. Dadurch dass im Büro viele Sozialplanungen gebündelt werden, fließen diese mit in den Entwicklungsprozess der Bielefelder Familiengrundschulzentren: Das sind zum Beispiel die Inklusionsplanung, die Strategie zum „Familienfreundlichen Bielefeld“ oder die Quartiersentwicklung. Auch der präventive Ansatz ist Auftrag und entspricht der Arbeitsweise des Planungsbüros. Immer wenn zielgruppenübergreifende Angebote geschaffen werden, wie bei den Familiengrundschulzentren, bei denen Eltern, Großeltern und ihre Kinder angesprochen werden, ist in der Regel das Planungsbüro im Spiel. Familiengrundschulzentren sollen in den Stadtteil wirken, Familien dort abholen, wo sie sind, und da können wir auf enge und langjährige Kooperationen zurückgreifen.
Aus unserer Sicht war es deshalb sinnvoll, die Familiengrundschulzentren dort anzusiedeln. Wir haben zum Beispiel keinen expliziten Auftrag im Rahmen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben keine bestimmte Brille auf. Ein großes Augenmerk lag eben darauf, dass im Planungsbüro das Konzept „Familienfreundliches Bielefeld“ verortet ist. In dieses Konzept fügen sich Familiengrundschulzentren als Baustein wunderbar ein. Wir möchten Bielefeld familienfreundlicher gestalten. Dafür befragen wir u. a. die Eltern. Diese Daten helfen uns, an den Standorten Angebote anzupassen und bedarfsgerecht zu planen.
"Die Daten helfen uns, gezielt Maßnahmen und Projekte zu planen und umzusetzen. So können wir schauen, wo was benötigt wird."
Das Büro für Sozialplanung ist auch für den Lebenslagenbericht zuständig, der zuletzt 2018 erschien. Wie nutzen Sie die darin erhobenen Daten – generell für Ihre Angebotsgestaltung in Bielefeld, aber auch konkret für die Familiengrundschulzentren?
Die Daten haben für uns einen hohen Stellwert, da wir dank ihnen einen Einblick in die soziale Einbindung der Bielefelderinnen und Bielefelder sowie in ihre allgemeinen Lebenslagen bekommen. Wir erhalten zum Beispiel Informationen über die Anzahl der Alleinerziehenden und über Kinder und Familien mit SGB II-Bezug (Grundsicherung für Arbeitssuchende). Die Daten helfen uns, gezielt Maßnahmen und Projekte zu planen und umzusetzen. So können wir schauen, wo was benötigt wird. Für die Familiengrundschulzentren haben wir diese Daten mit den Daten des Bildungsreportes verglichen, um zu schauen, in welchen Stadtteilen es eine hohe Bildungsbenachteiligung gibt. In welchen Stadtteilen gibt es einen hohen Anteil von Familien mit SGB II-Bezug? So konnten wir Standorte identifizieren, bei denen es sinnvoll ist, anzufragen und mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort ins Gespräch zu kommen.
Bestimmen Sie mithilfe der Daten auch konkrete Angebote vor Ort, die das jeweilige Familiengrundschulzentrum anbieten sollte, um auf bestimmte Aspekte eingehen zu können?
Das fließt auf jeden Fall mit ein. Ich verstehe die Daten als Anhaltspunkte. Die Daten sind wichtig, dennoch halten wir es so, dass wir partizipativ arbeiten und einfach bei den Menschen und Fachleuten nachfragen, was sie brauchen, was sie wollen und sich wünschen. Von daher: Wir nutzen die Daten, aber sie sind nicht die alleinige Grundlage. Wir gehen zum Beispiel gemeinsam mit dem Bildungsbüro, dem Jugendamt und den freien Trägern in die partizipative Quartiersentwicklung und schauen, was vor Ort gebraucht wird. Diese Vorgehensweise macht uns als integrierte Sozialplanung aus.
Sie haben sich in Sennestadt dazu entschieden, drei Familiengrundschulzentren in einem Stadtteil einzurichten. Wie kam es zu der Entscheidung und auf welcher Basis wurde diese getroffen? Was erhoffen Sie sich davon?
Auch hier waren die erhobenen Daten, die ich eben schon angesprochen habe, die Grundlage. Diese haben gezeigt, dass Bielefeld-Sennestadt von einer hohen Bildungsbenachteiligung betroffen ist. Dort herrscht ein hoher Migrationsanteil und Sennestadt ist ein Außenbezirk. Die Menschen, die dort leben, bleiben eher unter sich. Die Schuleingangsuntersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Kinder in Sennestadt häufig von Übergewicht betroffen sind und unter Bewegungsmangel leiden. Das haben wir als Chance gesehen, denn in Sennestadt haben wir drei Grundschulen, die wir miteinander vernetzen können. Außerdem haben wir zwei unterschiedliche Träger des Offenen Ganztag an den Standorten, sodass wir auf bestehende Trägerkooperation zurückgreifen können. Die Trägerschaft der Familiengrundschulzentren übernehmen die Träger des Offenen Ganztag. Gemeinsam mit den Leitungen der Familiengrundschulzentren bauen wir eine enge Kooperation mit den vor Ort ansässigen Sportvereinen auf. Das heißt, dass wir gerade in diesem Stadtteil ein ganz besonderes Augenmerk auf die Bewegungsförderung der Schülerinnen und Schüler legen. Uns war es wichtig, Angebote für die Sennestädterinnen und Sennestädter direkt vor Ort anzubieten, denn sie kommen nicht in die Bielefelder Innenstadt. Wir haben daher alle drei Grundschulen angefragt, ob sie sich die Entwicklung zu einem Familiengrundschulzentrum vorstellen können. Wir sehen darin die Chance, Sennestadt weiterzuentwickeln.
Sie erwähnten bereits, dass Daten nicht Alles sind. Besonders Schulen in herausfordernden Lagen kämpfen mit dem Alltag und haben oft Angst vor der sogenannten „Projektitis“ und scheuen daher neue Vorhaben. Welche anderen Aspekte sind daher neben den erhobenen Daten noch wichtig bei der Standortauswahl?
Neben den Daten waren auch pragmatische Entscheidungen notwendig. Wir haben beispielsweise geschaut, ob an den Schulen bestimmte Stellen besetzt sind. Gibt es eine Schulleitung? Gibt es eine Leitung im Offenen Ganztag? Wenn sich eine Grundschule zu einem Familiengrundschulzentrum entwickelt, hängt viel von den Menschen vor Ort ab. Wir mussten daher schauen, mit wem sich vor Ort ein solches Vorhaben umsetzen lässt. Auch: Wer hat Lust, dass sich ihre oder seine Schule zu einem Familiengrundschulzentrum entwickelt? Entsprechend sind wir an die Standorte herangetreten. Denn wenn Menschen von einer Idee begeistert sind, funktioniert es in der Regel auch die Umsetzung.
Sie haben sich entschieden, mit der Förderrichtlinie ‚kinderstark‘ in die langfristige Planung von Familiengrundschulzentren zu gehen. Wie konnten Sie sich in der Kommune auf diesen Förderschwerpunkt einigen?
Der zuständige Sozialplaner im Büro für Sozialplanung in Bielefeld hat den kinderstark-Förderaufruf gesehen und fand die Idee für Bielefeld sinnvoll. Im Zuge dessen wurde die Idee mit den möglichen Kooperationspartnern besprochen. Also auch zum Beispiel mit dem Jugendamt, denn auch hier hätte man die Familiengrundschulzentren andocken können. Es war allen Beteiligten schnell klar, dass die Idee der Familiengrundschulzentren genau in die Gesamtstrategie „Familienfreundliches Bielefeld“, also Präventionsketten auszubauen, passt. Die Frage war also nicht, ob wir es machen, sondern wie.
Konnten Sie die Familiengrundschulzentren in ein bestehendes Steuerungsgremium einspielen, um so nicht noch eine weitere Gremienstruktur aufzubauen?
Genau. Wir haben die Familiengrundschulzentren einfach in die bestehende Struktur eingestreut. Es ist mit den Familiengrundschulzentren nur ein Themenbaustein dazugekommen. Gemeinsam mit dem Bildungsbüro, dem Jugendamt, der Rege mbH, dem Schulamt und den Trägern der Familiengrundschulzentren treffen wir uns regelmäßig in einer Austauschrunde. Uns war wichtig, dass wir keine Doppelstrukturen schaffen. Der Austausch mit dem Schulamt ist wichtig für uns, denn es ist eine wichtige Schnittstelle zu den Schulleitungen.
Handelt es sich bei diesem Austausch um ein offizielles Gremium und wie oft trifft es sich?
Wir sind kein offizielles Gremium. Wir haben die bestehenden Strukturen einfach genutzt, um so die Energie woanders einzusetzen. Man kann sagen, dass wir unregelmäßig regelmäßig zusammensitzen. Es sind gewachsene Kooperationsstrukturen.
WEITERE INFORMATIONEN
Interview: Gregor Entzeroth und Marisa Klasen, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Wübben Stiftung Bildung/Peter Gwiazda
Kommune: Bielefeld
Website: Familiengrundschulzentren Bielefeld