Familiengrundschulzentren und Schulsozialarbeit mit unterschiedlichen Trägern am Beispiel der Kommune Essen
Wir sehen die Familiengrundschulzentren immer im Kontext der verschiedenen Professionen, die an Schule tätig sind und denken, dass es wichtig ist, dass die verschiedenen Akteursgruppen gut kooperieren. Wir haben in verschiedenen Kommunen deshalb nachgehört, wie sie mit den Professionen Familiengrundschulzentrum und Schulsozialarbeit umgehen. Philipp Schütte, Kommunale Koordination für Familiengrundschulzentren bei der Stadt Essen, berichtet im Interview darüber, welche Träger zuständig sind, wie die Professionen zusammenarbeiten und gibt viele Einblicke in die Arbeit des Schulverwaltungsamts.
Die Stadt Essen hat entschieden, die Stellen der FGZ-Leitungen mit erfahrenen Kräften zu besetzen, die direkt bei der Stadt angestellt sind. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Philipp Schütte: Diese Entscheidung war naheliegend, denn die Entwicklung von Grundschulen zu Familiengrundschulzentren ist ein Schulentwicklungsprozess, den wir selbst mit einer eigenen fachlichen Stimme mitgestalten möchten. Das soll nicht heißen, dass wir in die schulfachlichen Hoheitsbereiche der Grundschulen eingreifen wollen, denn das können und wollen wir nicht. Aber als Schulverwaltungsamt, das sich in Essen Fachbereich Schule nennt, begreifen wir uns schon seit mehreren Jahren als erweiterter Schulträger. Das heißt, dass neben der Verwaltungsarbeit auch eine pädagogische Dimension hinzugekommen ist. Deshalb ist der Teil der Schulsozialarbeit, der kommunal verwaltet wird, auch hier bei uns im Amt angedockt, genauso wie Projekte zur schulischen Integration. Das sind zum Beispiel zusätzliche Stellen für Erzieherinnen und Erzieher oder auch das Projekt „Angekommen in deiner Stadt Essen“, das von der Walter-Blüchert-Stiftung finanziert wird. Diese Arbeitsbereiche waren schon bei uns im Schulverwaltungsamt als pädagogische Arbeit angesiedelt als sich die Fördermöglichkeit der Familiengrundschulzentren aufgetan hat.
Unser Amt war klassischerweise ausschließlich für die äußeren Schulangelegenheiten zuständig wie Schulraumbedarfsplanung, Schülerfahrtkostenabrechnungen, Hausmeisterei, Sekretariate, Ausstattung, Digitalisierungsfragen und vieles mehr. Die inneren Schulangelegenheiten, alle unterrichtlichen Fragen, sind Ländersache. Die erweiterte Schulträgerschaft wiederum konzentriert sich auf die Zwischenräume zwischen diesen inneren und äußeren Angelegenheiten, die immer wichtiger werden. Hier in Essen sehen wir, dass die Schulen in den letzten Jahren vermehrt mit außerunterrichtlichen Herausforderungen zu tun haben. Die lassen sich nicht durch die Umstellung des Lehrplans lösen, durch didaktische Innovationen oder effizientere Verwaltungsarbeit. Das sind Themen wie soziales Lernen, Integration, Abbau von Chancenungleichheit, gesellschaftliche Teilhabe und auch die Anbindung der Familien an öffentliche Hilfen.
Dieser Bereich, der für uns ohnehin wichtig ist, bekommt durch die Entwicklung von Familiengrundschulzentren einen konkreten „Anpack“ und wird für uns greifbarer. Das haben wir in der Förderrichtlinie direkt erkannt und entschieden: Das machen wir selbst, um unmittelbarer mitgestalten und Einfluss nehmen zu können. Das ist keinesfalls als Kritik an den freien Trägern in unserer Stadt zu verstehen. Sie machen eine super Arbeit und sind wichtige Akteure hier in der Landschaft. Die Entscheidung kann man so oder so treffen. Wir haben bei uns im Amt die pädagogische Arbeit und die pädagogische Expertise. So sind wir in dem ganzen Vorgehen verbindlich aufgestellt unter anderem zusammen mit Dr. Jan von der Gathen von der Schulaufsicht.
Ich finde unsere Entscheidung, die Familiengrundschulzentren selbst zu koordinieren und die Dienst- und Fachaufsicht ebenfalls innezuhaben, deshalb naheliegend. Ich muss dazu sagen, dass man dieses Vorgehen nicht eins zu eins auf andere Kommunen übertragen kann. Unser Modell funktioniert bestimmt nicht in jeder Kommune, da es unterschiedliche Konstellationen von Akteuren und der Trägerlandschaft gibt. In anderen Kommunen ist es sicherlich manchmal sinnvoller, wenn eine Trägereinheit besteht, also Schulsozialarbeit, Familiengrundschulzentren und offener Ganztag bei einem Träger liegen. Das kann aufgrund von flexibler Arbeit und kurzen Entscheidungswegen auch große Vorteile haben.
Sie sind selber Schulsozialarbeiter, Herr Schütte. Welche Vorteile hat es, dass die FGZ-Leitungen schon viel Erfahrung aus der sozialen Arbeit mitbringen?
Philipp Schütte: Einerseits ist die Erfahrung in der sozialen Arbeit oder auch in der Schule hilfreich, denn dadurch erhält man Kenntnisse über die lokalen Netzwerke, über die Hilfelandschaft vor Ort. Man weiß, welche Beratungsstellen, welche Vereine und kulturellen Angebote aller Art vorhanden sind. Diese umfassenden Kenntnisse müssen nicht neu erschlossen werden. Bei einer FGZ-Leitung hier in Essen ist das der Fall. Sie war vorher im Jugendamt tätig und kennt den Bezirk der Schule und auch die handelnden Akteure. Das ist ein großer Vorteil für uns. Auch wenn dies nicht der Fall ist, dann ist es immer hilfreich, Erfahrung zu haben bei kniffligen Fragen wie dieser: Wie bringt man Schule und externe Partner nachhaltig zusammen? Wie können dauerhafte Kooperationen entstehen, die nicht nur von einzelnen Personen abhängig sind? Das hat zum einen viel mit der Persönlichkeit der Handelnden zu tun und zum anderen bringt man diese Erfahrung nicht direkt nach dem Hochschulabschluss mit, sondern sie muss erarbeitet werden.
Es ist kein Muss, aber von großem Vorteil, wenn Fachkräfte selbst bereits in der Schule gearbeitet haben. Denn Schule funktioniert ganz anders als Jungendhilfeeinrichtungen, als ein Treff oder eine Beratungsstelle. Wir haben schon erlebt, dass Fachkräfte mit hoher Motivation und Vertrauen in die eigene Qualifikation in die Tätigkeit an Schulen starten, dann aber schnell frustriert sind, weil die eigene Wirksamkeit nicht schnell bemerkbar ist. Die Illusion, dass man an Schulen schnell Innovationen durchsetzen und die ganze Schulkultur umkrempeln kann, um dann das Gute, die Arbeit am Kind, das Wohl der Schülerinnen und Schüler in den Fokus zu rücken, haben die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in Familiengrundschulzentren in Essen arbeiten, bereits überwunden. Schulen sind ebenkeine sozialen Einrichtungen in dem Sinne. Das ist eine Erfahrung, die bei manchen bereits da ist und bei anderen noch kommt.
„Uns war wichtig, dass das Element Familiengrundschulzentrum von Beginn an als Teil einer Präventionskette begriffen wird. So arbeiten wir, Jugendamt und Fachbereich Schule, mit den anderen außerschulischen Partnern und Jugendhilfe-Anbietern eng zusammen und gucken gemeinsam darauf, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir an den Schulstandorten haben.“
Wie unterscheidet sich die „klassische” Schulsozialarbeit Ihrer Meinung nach von dem Stellenprofil, das Sie in Essen für die FGZ-Leitungen vorsehen?
Philipp Schütte: Der Schwerpunkt der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter liegt auf Angeboten zum Sozialen Lernen, Interventionen, präventiver Arbeit und Beratungsgesprächen. Das unterscheidet sie deutlich von dem Profil der FGZ-Leitungen. Aus meiner Sicht muss allerdings zwischen diesen beiden Professionen keine explizite Abgrenzung geschehen. Die Zusammenarbeit und Differenzierung kann man über Einführungsgespräche und Hospitationen begleiten und so auch Irrtümer ausräumen. Überschneidungen der Professionen gibt es in der Elternarbeit und Netzwerkarbeit. Wenn eine Schulsozialarbeiterin oder ein Schulsozialarbeiter schon länger an einer Schule ist, das Netzwerk länger um sich hat, dann ist es bestenfalls eine Synergie, die dort entsteht und man spricht sich ab: Wer kommt wie, mit welchen außerschulischen Partnerinnen und Partnern ins Gespräch? Wenn das am Anfang nicht sofort reibungslos funktioniert, dann sind immer noch die Schulleitung und auch wir als Koordinationsstelle da, um das zu begleiten und Gespräche zu führen.
Wie viele Stellenanteile hat welche Profession an Ihren FGZ-Standorten?
Philipp Schütte: Wir haben insgesamt vier Schulen, die sich zum Familiengrundschulzentrum entwickeln. An drei Schulen ist eine halbe Stelle FGZ-Leitung und eine halbe Stelle Schulsozialarbeit verortet. An der vierten Schule ist keine Schulsozialarbeit und damit nur eine halbe Stelle FGZ-Leitung. Allerdings laufen an allen Standorten neben den Familiengrundschulzentren und der Schulsozialarbeit weitere Jugendhilfemaßnahmen, die zum Teil auch mit zusätzlichen Personaleinsätzen verbunden sind.
Schulsozialarbeit (freie Träger aus MSB*-Förderung) | FGZ-Leitung (Stadt Essen aus MSB-Förderung) | |
---|---|---|
Schule im Bergmannsfeld | 0,5 (Caritas-SkF-Essen) | 0,5 |
Schule im Steeler Rott | 0,5 | |
Hövelschule | 0,5 (AWO) | 0,5 |
Friedenschule | 0,5 (Caritas-SkF-Essen) | 0,5 |
(*MSB: Minsterium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen)
In manchen Kommunen ist es so, dass die Professionen in Personalunion umgesetzt werden: Also eine Kollegin mit einer halben Stelle als FGZ-Leitung und mit der anderen Hälfe als Schulsozialarbeiterin tätig ist. In Essen sind die Professionen getrennt. Was sind die Gründe dafür?
Philipp Schütte: Die Schulsozialarbeit in Essen teilt sich auf drei Modelle auf. 1. Die Schulsozialarbeit im Landesdienst, umgewandelte Lehrstellen oder andere geschaffene Stellen 2. Wir haben bei der Kommune Schulsozialarbeit, die wir selbst finanzieren und die unabhängig von der Landesförderung ist. 3. Es gibt noch die Landesförderung durch das Schulministerium, die wir gemeinsam mit freien Trägern umsetzen. Wir haben elf weitere Träger, mit denen wir zusammenarbeiten. Die beteiligten Wohlfahrtsverbände sind vorrangig an den Grundschulen mit der Schulsozialarbeit. Das heißt, wir haben an den Standorten der Familiengrundschulzentren die freien Träger, die die Schulsozialarbeit umsetzen und die FGZ-Leitung setzen wir als Kommune selbst ein. Eine Personalunion kam daher nicht in Frage.
Damit das Konzept der Familiengrundschulzentren aufgeht, ist eine gute Einbettung des Themas in kommunale Strategien wichtig. Dasselbe sollte auch für die Schulsozialarbeit gelten.
Inwiefern gibt es auf kommunaler Ebene Konzepte, wie sich die Bausteine FGZ und Schulsozialarbeit gut ergänzen können?
Philipp Schütte: Ich bin momentan in Personalunion für die kommunale Koordination von Schulsozialarbeit und Familiengrundschulzentren zuständig. Wir haben zwar eine weitere Stelle für die Koordination der Schulsozialarbeit, meine Kollegin ist allerdings derzeit in Elternzeit und ich vertrete sie. Wir sind ein Arbeitsbereich von insgesamt vier Kolleginnen und Kollegen, die im Bereich Jugendhilfe und schulische Integration im Fachbereich Schule der Stadt Essen tätig sind. Wir arbeiten eng mit dem Jugendamt zusammen und sprechen uns gut ab.
Wir haben außerdem eine kommunale Präventionsstrategie, deren Federführung beim Jugendamt liegt. Hier war es uns wichtig, dass das Element Familiengrundschulzentrum von Beginn an als Teil einer Präventionskette begriffen werden muss. So arbeiten wir, Jugendamt und Fachbereich Schule, mit den anderen außerschulischen Partnern und Jugendhilfe-Anbietern eng zusammen und gucken gemeinsam darauf, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir an den Schulstandorten haben. Düsseldorf und Köln sind mir gut bekannte Beispiele für Kommunen, die eine integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung vorgelegt haben. Das meint, dass beide Säulen abgestimmt und synergetisch organisiert sind. Das wurde hier in Essen noch nicht konkret erarbeitet, aber wir sind auf dem Weg dorthin.
Wir etablieren derzeit einen neuen Facharbeitskreis für Jugendhilfe und Schule, der aus Akteuren aus Schulen aller Schulformen, aus den Schulaufsichten, aus uns, aus dem Jugendamt und der Jugendhilfelandschaft bestehen soll, um für Essen konkreter zu fassen, was wir für die Zukunft hier vor Ort brauchen. Diese Konzepte gibt es im Kleinen schon für jeden Arbeitsbereich. Sie sind aber noch nicht harmonisiert. Das liegt unter anderem daran, dass unser Schulverwaltungsamt diese pädagogische Arbeit noch nicht sehr lange durchführt.