Von Aufgaben und Qualifikation einer FGZ-Leitung bis hin zum Fachkräftemangel – eine Träger-Perspektive
Dr. Marcel Fischell leitet seit 2014 das Evangelische Bildungswerk des Kirchenkreises Duisburg. Mit ihm und Anna Knüfer, stellv. Abteilungsleitung offener Ganztag beim Bildungswerk sprechen wir über die das Kompetenzprofil der Leitung eines Familiengrundschulzentrums (FGZ-Leitung), die notwendige Qualifikation, die Rolle im multiprofessionellen Team und die Herausforderung des Fachkräftemangels.
An Schulen arbeiten multiprofessionelle Teams mit unterschiedlichen Professionen. Wie fügt sich hier die Position der FGZ-Leitung ein?
Marcel Fischell: Die Frage lässt sich mit einer gewissen Leichtigkeit beantworten, wenn wir vom Optimalfall sprechen und dem Konzept, wie wir es verstehen. Das sehen nicht alle Träger genauso wie wir. Die Position der Leitung des Familiengrundschulzentrums (FGZ-Leitung) ist letzten Endes die Schnitt- und Scharnierstelle zwischen den verschiedenen Institutionen bzw. Systemen, die sich in dem Gebäude Schule treffen. Damit meine ich das klassische Schulsystem und den Unterricht, die verschiedensten Jugendhilfeangebote, die sich sowohl innerhalb des Schulsystems befinden, wie der offene Ganztag und die Schulsozialarbeit, bis hin zu diversen anderen Projekten wie zum Beispiel JeKits (Jedem Kind ein Instrument). Das multiprofessionelle Team besteht erstmal einfach aus Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und viele mehr, die sich in einem selben Raum befinden. Aber jede und jeder redet anders, der eine versteht den anderen im Zweifel völlig falsch, jeder ist in seinem Bereich unterwegs. Die Profession des FGZ kommt dann noch hinzu. Sie kann sich aber die Rolle geben, im multiprofessionellen Team für eine gemeinsame Sprache und Koordination zu sorgen.
Die Hauptverantwortung dafür trägt aber doch wahrscheinlich die Schulleitung…
Fischell: Das ist richtig. Schulleitungen haben den Hut auf. Schulleitungen sind in letzter Instanz verantwortlich für das, was an der Schule passiert – auch wenn dies nicht in eigener Trägerschaft geschieht und von „externen“ Personen wahrgenommen wird. Die Profession der FGZ-Leitung arbeitet daher in ihrer koordinierenden Rolle in enger Abstimmung und in Schulterschluss mit der Schulleitung.
Wie sieht aus Ihrer Sicht konkret das Aufgabenprofil der FGZ-Leitung aus?
Anna Knüfer: In erster Linie habe ich eine Koordinations-, Netzwerk- und Schnittstellenfunktion. Wir fragen die Interessen der Eltern ab, sind mit den anderen Professionen in der Schule im Austausch, hören uns im Sozialraum um, schauen welche Angebote es schon gibt und welche weiteren notwendig wären und akquirieren bei Bedarf Honorarkräfte. Wir schaffen und behalten einen Überblick über die jeweiligen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner im Sozialraum, sind präsent im Stadtteil und mit den Akteuren im Austausch.
Es gibt Schulen, die schon Elterncafés angeboten haben, bevor sie sich zum Familiengrundschulzentrum entwickelt haben. Was ändert sich in einer Schule bei der Entwicklung zum Familiengrundschulzentrum?
Fischell: Wir kennen Schulen mit vielen Angeboten, die kein FGZ sind. Es finden verschiedene Dinge statt, mit unterschiedlichen Anbietern und in der Regel aus verschiedenen Töpfen finanziert. In der Regel, und hier bin ich beim qualitativen Aspekt, sind die Angebote nicht aufeinander abgestimmt oder koordiniert. Gerade in sozial benachteiligten Quartieren gibt es viele Hilfs- und Unterstützungsangebote, die Träger und Institutionen akquirieren viele Gelder, viele Projekte entstehen. Es gibt aber weder ein Ziel noch ein Konzept noch eine Strategie, dem das Ganze folgt. Es ist ein Projektaktionismus, über den kaum noch jemand einen Überblick hat. Es gibt Abschlussberichte in Hochglanz zum Ende, aber niemand weiß, was eigentlich erreicht wurde. Wie Anna Knüfer gerade beschrieben hat: Als FGZ werden alle Angebote, die in einer Schule stattfinden, gebündelt, geprüft, mit den Bedarfen der Eltern abgeglichen. Es wird geschaut, was Passendes schon stattfindet oder welches Angebot noch benötigt wird und gleicht das mit dem Sozialraum ab. Die Elternarbeit wird auf systematische Füße gestellt. Ein Beispiel: Es gibt fünf Fälle an der Schule, die eine Schuldnerberatung benötigen. Macht es Sinn, diese an der Schule anzubieten oder gibt es ein entsprechendes Angebot im Quartier? Das ist die Koordinations- und Schnittstellenfunktion und die Denk- und Herangehensweise ist bedarfsorientiert. Diesen Unterschied macht die Entwicklung zum FGZ.
Knüfer: Schöner hätte ich es nicht sagen können. Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Und Lehrkräfte können Elternarbeit mit dieser Herangehensweise nicht einfach umsetzen. Ihnen fehlt die Zeit. Deshalb findet an Schulen ohne FGZ vielleicht ein Elterncafé im Klassengefüge pro Monat statt. In einer Schule, die FGZ ist, finden beispielsweise wöchentliche thematische Elterncafés statt. Der Kontakt zu den Eltern ist viel intensiver. Und dann ergibt sich aus einem Elterncafé vielleicht auch mal eine Sozialraumexkursion mit den Müttern oder einen Ausflug in den Tierpark. Wir können das Ganze viel breiter aufstellen und die Eltern haben feste Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen.
Welche Ausbildung/Qualifikation ist aus ihrer Sicht für die Stelle der FGZ-Leitung sinnvoll bzw. auch notwendig?
Knüfer: Wir haben für die Grundschule Sandstraße in Marxloh gerade eine FGZ-Leitung und den offenen Ganztag ausgeschrieben. Es bietet für uns viel mehr Möglichkeiten, wenn eine Person beide Positionen besetzt. Die Bewerberinnen und Bewerber benötigen für diese Stelle eine abgeschlossene Ausbildung als pädagogische Fachkraft oder einen vergleichbaren Studienabschluss. Zudem sollten sie Soft Skills im Sinne von Offenheit, Netzwerken, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und ein verantwortungsbewusstes, eigenständiges Arbeiten mitbringen.
Fischell: Wir haben uns nicht darauf beschränkt zu sagen, dass wir die Position nur mit akademisch qualifizierten Personen besetzen. Eine Voraussetzung für die Stelle ist allerdings eine gewisse Fachaffinität zum Kontext Schule. Das können Erzieher und Erzieherinnen sein, Personen aus dem großen Feld der Jugendhilfe, der sozialen Arbeit, klassische Erziehungswissenschaftler und Erziehungswissenschaftlerinnen bis hin zum Sozialmanagement. Je offener wir an der Stelle sind, desto größer ist dann auch die Gruppe der Menschen, die wir mit einer Stellenausschreibung ansprechen. Beim derzeitigen Fachkräftemangel müssen wir an dieser Stelle so flexibel sein, wie es inhaltlich möglich ist. Es ist von Vorteil, dass wir hier keine Engführung durch das Land haben. Das sieht zum Beispiel in Kindertageseinrichtungen anders aus. Für den Erfolg der Arbeit vor Ort ist es entscheidend, dass diejenige oder derjenige das System Schule kennt und weiß, wie es tickt. Und er oder sie müssen verstehen, wie Jugendhilfe funktioniert. Das sind zwei unterschiedlichste Systeme, die sich in Schule begegnen und dort zueinander geführt werden müssen.
Frau Knüfer, Sie haben gesagt, dass in der Grundschule Sandstraße in Duisburg die Stelle von OGS-Leitung und FGZ-Leitung in Personalunion ausgeschrieben wird. Welche Vorteile hat das und gibt es auch Herausforderungen?
Knüfer: Die Möglichkeit der Personalunion ist erst dadurch entstanden, dass wir nun Träger von OGS und FGZ am Standort sind. Wir sehen einen Vorteil darin, dass wir eine Person als Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner für die Schule und auch für die Eltern haben. Auch der offene Ganztag leistet an all seinen Standorten immer wieder Elternarbeit. Deshalb gibt es viele Schnittstellen. Man ist mit den Eltern in Kontakt, hat Elterngespräche, weist auf Angebote der Schule hin. Als Personalunion kann man viel enger mit den Familien arbeiten, Bedarfe aufnehmen und entsprechende Angebote entwickeln, weil man an vielen Stellen von den Familien mitbekommt, in der Abholzeit zum Beispiel. Zudem hat man als Träger eine Person am Standort, die im Stadtteil unterwegs ist und sich auskennt. Nachteile sehe ich tatsächlich nicht.
Fischell: Ich habe nur eine Ergänzung: Wir können eine Vollzeitstelle ausschreiben.
„Schreiben wird die Leitung von Ganztag und Familiengrundschulzentrum als eine Stelle aus, können wir eine Vollzeitstelle ausschreiben."
Wie haben Sie denn die Profession in der Ausschreibung genau betitelt? Es gibt inzwischen viele verschiedene Begriffe wie FGZ-Leitung, FGZ-Fachkraft, FGZ-Koordination oder Familienschulmanagerin.
Fischell: Wir schreiben unsere Stellen als FGZ-Leitung aus. Das hat leider in Bewerbungsgesprächen schon zu Irritationen geführt: „Wie, das ist gar keine Leitungsposition und ich habe keine Mitarbeitenden?” Damit hängt bei uns als Träger eng die Frage der Eingruppierung zusammen, weil eine Kitaleitung mit Personalverantwortung anders eingruppiert ist als eine FGZ-Leitung ohne Personalverantwortung. Das hat auch Auswirkungen auf das Gehalt. Deshalb ist für mich auch der Begriff der Managerin schwierig. In einem bestimmten Rahmen passt es vielleicht, aber mit Management geht auch immer eine entsprechende Budgetverantwortlichkeit einher, inklusive des Rechnungswesens. Den Begriff der Koordination finde ich gut, allerdings auch holprig oder schwergängig. Wir nutzen zudem den Überbegriff der pädagogischen Mitarbeitenden. Aber der Begriff ist natürlich weit weg von der tatsächlichen Tätigkeit einer FGZ-Leitung.
Sie haben den Fachkräftemangel schon angesprochen. Haben Sie noch weitere Strategien, Fachkräfte zu gewinnen? Wie sehen zudem ihre Strategien aus, um Personal zu halten?
Fischell: Zu Punkt 1: Bei uns gibt es keine befristeten Stellen. Das Bildungswerk ist so groß, dass ich aufgrund der Fluktuation, die ich beispielsweise durch Schwangerschaften und Rente habe, immer eine alternative Beschäftigung anbieten kann. Ich gehe hier ins unternehmerische Risiko, aber das ist unser Wettbewerbsvorteil. Zudem sind wir schnell. Wenn ein Bewerbungsgespräch erfolgreich war, hat derjenige oder diejenige am nächsten Tag den Entwurf für einen Arbeitsvertrag vorliegen und nicht erst Wochen später.
Zu Punkt 2: Wir sind ein großer Arbeitgeber. Deshalb haben wir diverse Maßnahmen des Employer Branding. Unser Ziel ist es natürlich, dass die Mitarbeitenden eine hohe Bindung an ihre Stelle und uns als Arbeitgeber entwickeln. Maßnahmen sind Bike Leasing, Jobticket, Sommerfeste, Betriebsausflüge, interne Fortbildungsangebote, Aufstiegsprogramme, Jobrotation und so weiter. Aktuell haben wir alle Planstellen besetzt, aber natürlich merken wir auch, dass es von Jahr zu Jahr schwieriger wird. Der unternehmerische Erfolg hängt maßgeblich davon ab, wie Sie mit Ihrem Personal umgehen. Der Fachkräftemangel wird noch schlimmer werden. Wir stehen am Anfang dieser Entwicklung. Wir sind noch lange nicht am Höhepunkt angekommen.
Momentan gibt es in NRW die befristete Förderung von Familiengrundschulzentren über die beiden Förderrichtlinien der betreffenden Ministerien. Was würden Sie sich diesbezüglich für die Zukunft wünschen?
Fischell: Ich wünsche mir eine rechtliche Verankerung innerhalb der Regelung zum OGS-Betreuungsplatz. Ich wünsche mir zudem eine enge Verknüpfung von der Trägerseite, der Finanzierung und der inhaltlichen Konzipierung mit dem, was im offenen Ganztag stattfindet. Eine Analogie gibt es hier bei den Kindertageseinrichtungen. Die Familienzentren an Kitas werden innerhalb des Kinderbildungsgesetz (KiBiz) „reguliert“. Die Finanzierung ist an der Stelle über diesen Haushaltsposten gesichert. Die bisherige befristete Projektfinanzierung hat immer wieder den Nachteil, dass das Geld, was bis Ende des Jahres nicht ausgegeben wird, zurückgezahlt werden muss. In den Kindertageseinrichtungen, wo die Finanzierung über ein Gesetz geregelt ist, besteht die Möglichkeit, über eine Rücklage ein atmendes System zu haben. So kann ich für bestimmte Investitionen ansparen oder Effekte abmildern, auf die ich keinen Einfluss habe, wie Schwangerschaften oder Langzeiterkrankungen. Das gibt uns als Träger Planungssicherheit. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, auch wenn es vermutlich rechtlich nicht möglich ist, die sklavische Aufteilung zwischen innerer und äußerer Schulangelegenheit aufzugeben. Diese behindert uns auch maßgeblich innerhalb der Familiengrundschulzentren. Ich möchte in der Lage sein, in einer gewissen Freiheit Materialien bis hin zu Mobiliar und Computertechnik anschaffen zu können, um entsprechende Angebote zu schaffen. Elternarbeit in den Räumlichkeiten der Schule bedeutet aktuell oft, dass die Eltern an den Tischen und Stühlen der Sechs- bis Zehnjährigen auf der entsprechenden Höhe sitzen. Wir brauchen für die Arbeit, die wir dort leisten, einen Etat, um freier agieren zu können.
„Gleichzeitig würde ich mir wünschen, auch wenn es vermutlich rechtlich nicht möglich ist, die sklavische Aufteilung zwischen innerer und äußerer Schulangelegenheit aufzugeben."
Das Bildungswerk ist sowohl Träger der freien Jugendhilfe als auch der Familienbildung. Wie unterscheiden sich die jeweiligen Trägerperspektiven hinsichtlich der Familiengrundschulzentren?
Fischell: Das sind unterschiedliche Förderkulissen, die wir innerhalb eines Werkes haben. Die Familienbildung ist ein eigenständiges Angebot, anerkannt nach dem Weiterbildungsgesetz NRW. Das heißt, wir haben eine eigene finanzielle und auch rechtliche Grundlage, auf deren Basis die Kolleginnen und Kollegen arbeiten. Dann sind wir gleichzeitig Träger eines Familiengrundschulzentrums. Wir haben hier schon Erfahrungen im Kontext der Familienzentren an Kitas gesammelt. Das heißt, Kolleginnen und Kollegen aus einer Abteilung im Bildungswerk bieten in dem Familienzentrum, dessen Träger wir auch sind, Kurse an. Das hat den Vorteil, dass die Mitarbeitenden sich kennen und die Kommunikationswege kürzer sind. Zudem freut sich die Familienbildung darüber, einen weiteren Zugang im Sinne der Räumlichkeiten, Ansprechpersonen und Angebote zu haben. Wir benötigen keinen weiteren Kooperationspartner von außen, müssen keine Kooperationsverträge schließen und können alles aus einer Hand anbieten.
WEITERE INFORMATIONEN
Interview: Marisa Klasen und Sebastian Schardt, Wübben Stiftung Bildung
Foto: © Ev. Bildungswerk Duisburg
Kommune: Duisburg