EINBLICKE IN DIE PRAXIS

Wie ein Familien­grund­schulzentrum entsteht – am Beispiel von Mönchengladbach

Derzeit entstehen in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundes­ländern viele Familien­grund­schulzentren. Doch wie entsteht ein neues Familien­grund­schul­zentrum? Im Interview beschreibt die kommunale Koordinatorin in Mönchengladbach, Annika Ahrens, den dortigen Weg: von den Voraus­setzungen und Prozessen in der Kommune, über die Fragen der richtigen Standort­wahl, der Anbahnung des Vorhabens am Schul­standort und letztlich der benötigten Strukturen für dessen Umsetzung.

Wie entsteht in Mönchengladbach ein neues Familien­grund­schulzentrum?

Annika Ahrens: Grund­voraussetzung ist das Einverständnis der Verwaltung. Über den Rats­beschluss zum Stellenplan 2021/2022 wurden Familien­grund­schulzentren in Mönchengladbach 2021 verstetigt und der Stellen­umfang für vormals fünf auf nunmehr insgesamt neun Schulstandorte ausgeweitet. Der gesamte Stellen­umfang umfasst dabei 4,5 Vollzeit­äquivalente d.h. 0,5 pro Grundschule.

Wie sehen die ersten Schritte aus, wie gestaltet sich die Standort­wahl und welche Beschlüsse sind notwendig?

Die beiden Fach­bereiche „Kinder, Jugend und Familie“ sowie „Schule und Sport“ treffen erste Überlegungen über die Stand­ortwahl und stimmen sich mit der unteren Schul­aufsicht ab.

Vorgeschlagen werden von uns Grund­schulen mit einem Standort­typ bzw. Sozial­index 5. Dort ist die soziale Belastung groß und wir haben bereits kommunale Schul­sozial­arbeit vor Ort eingeführt. Unsere sozial­raumorientierte öffentliche Jugend­hilfe soll besonders in der inner­städtischen Nord-Süd-Achse Mönchengladbachs mit entsprechenden Angeboten über Familien­grund­schulzentren ausgebaut werden.

Steht der Standort fest, nimmt die untere Schul­aufsicht den Kontakt zu den Schul­leitungen auf, teilt ihnen das Kooperations­angebot mit und befürwortet es ihrerseits, sodass der Weg für unser weiteres Vorgehen geebnet ist.

Wenn diese ersten Schritte erfolgt sind, kommen wir als Jugendamt ins Spiel. In meiner Rolle als kommunale Koordinatorin erörtere ich mit der Schul­leitung das Konzept. Wenn die Schulleitung sagt: Wir finden das Angebot interessant, gehe ich auf ihren Wunsch hin in die Lehrer- und/oder in die Schulkonferenz und stelle das Konzept dort vor. Zu einer Kooperation kommt es schließlich, wenn die Schulkonferenz dem Vorhaben mehrheitlich zustimmt.

„In meiner Rolle als kommunale Koordinatorin erörtere ich mit der Schulleitung das Konzept.“

Dann unterstütze ich den Abschluss eines Kooperations­vertrages zwischen der Jugend­amts­leitung, der Schulamts­leitung, der unteren Schul­aufsicht sowie der Schulleitung, der das Konzept einschließlich des Rahmens der Zusammen­arbeit umfasst. Dann erst wird in der Schule die „Leitung Familien­grund­schul­zentrum“ personell verortet.

Wichtig dabei zu wissen: Die Grund­lage unseres fachbereichs­übergreifenden Handelns ist der erste Bildungs- und Jugendhilfe­bericht der Stadt Mönchengladbach aus dem Jahr 2018. Hiermit wurde über das regionale Bildungs­büro im Schulamt ein datenbasiertes kommunales Bildungs­management geschaffen, welches seither weiter­entwickelt wird. Dieser Bericht zeigt beispiels­weise kleinräumig die Ergebnisse der Schuleingangs­untersuchungen und stellt mit seinen Handlungs­empfehlungen die Grundlage für eine zielgerichtete Zusammen­arbeit des Jugendamts mit dem Schulamt dar. Diese Grundlage ist etwas Besonderes, weil sich die beiden Fach­bereiche damit noch einmal enger verzahnen.

All das ist gegenüber der Schul­leitung transparent, um dieser Kooperation mit dem Jugendamt zustimmen oder sie ablehnen zu können.

Wenn sich die Grundschule auf den Weg macht, ein Familien­grundschulzentrum zu werden, welche Strukturen sind dann notwendig und wer trägt die Verantwortung?

Beschließt die Schulleitung, die Kooperation anzunehmen, trägt sie die Verantwortung für die Entwicklung ihres Familien­grund­schul­zentrums und stellt der Leitung Familien­grund­schulzentrum in der Schule einen festen Bürositz zur Verfügung, bietet ihr eine regelmäßig innerschulische Austausch­struktur sowie eine regelmäßige Beteiligung an Lehrer­konferenzen oder Dienst­besprechungen an.

Wir haben die Rollen klar definiert: Die Leitung Familiengrund­schulzentrum arbeitet nicht operativ in der Eltern­arbeit, sondern sie unterstützt die Schulleitung dabei, ist strategisch ausgerichtet und macht keine Einzelfall­hilfe. Wenn also die Strukturen geschaffen sind, etwa ein Elterncafé eigerichtet wurde, dann braucht es auf jeden Fall einen Partner, der präventive Elternarbeit durchführt. Wir haben in unserer Abteilung „Jugendpflege und Prävention“ für diese Aufgabe u. a. die kommunale Schulsozialarbeit und das Elternangebot HOME. Diese drei Stellen arbeiten dann eng verzahnt zusammen, können sich gegenseitig unterstützen und die Eltern lotsen.

Das beschriebene System fußt auf zwei Bausteinen. Zunächst einmal haben wir innerhalb des Jugendamtes unser Sozialraumkonzept für alle Angebote im Jugendamt und verfolgen die strategischen Ziele: „Prävention vor Intervention“, „vielfältige präventive Leistungen und Netzwerke sind vorhanden“ und „Entsäulung der Jugendhilfe“. Auf dieser Basis arbeiten wir strukturell im Stadtgebiet zusammen. Hierzu haben wir 20 Sozialraumkonferenzen, die quartalsmäßig tagen: Zusammen mit den Kitaleitungen, den Grundschulleitungen, den Akteuren des Jugendamtes wie dem Allgemeinen sozialen Dienst (ASD), der Koordination FGZ, der Fachkraft HOME etc. Dort stimmen wir uns bspw. hinsichtlich der Angebote ab, damit sich nichts doppelt, eine bedarfsbezogene Vielfalt entsteht und die Kurse voll sind. Wir decken auch die Bedarfe gemeinsam frühzeitig auf.

Daneben haben wir Sozialraumteams, bei denen der ASD sowie die Leitung von HOME gemeinsam einen sogenannten Ressourcencheck ausrichten und sich engmaschig treffen. Das bedeutet: Eine Stunde verwaltungsinterner Fachaustausch zwischen ASD, HOME, Fachstelle Frühe Hilfen, kommunale Schulsozialarbeit, Leitung Familiengrundschulzentrum, Kita-Abteilung, offener Kinder- und Jugendhilfe sowie der wirtschaftlichen Jugendhilfe. Die beteiligten Akteure haben Kinder, Jugendliche und Eltern immer im Blick, um sie zu motivieren, die vielfältigen Angebote im Stadtteil wahrzunehmen. Sie entwickeln gemeinsam kreative Ansätze für erkannte Bedarfe und entwickeln gemeinsam neue Angebote in Form von Projekten. Die Verantwortung tragen die Leitungen von ASD, HOME und wirtschaftlicher Jugendhilfe.

Warum hat sich diese Vorgehensweise bei der Entwicklung einer Schule zum Familiengrundschulzentrum bewährt?

Wir sind mit einem Familiengrund­schul­zentrum gestartet, haben nach einem Jahr auf fünf Standorte erweitert und sind jetzt bald bei neun angekommen. Wir können sagen, dass sich unsere Vorgehensweise bewährt hat! Wichtig ist, dass man das Konzept der Schule nicht aufstülpt, sondern gemeinsam mit der Schulleitung und allen weiteren relevanten Akteuren das Konzept weiterentwickelt.

Was bedeutet es, dass die Familien­zentren an den Grund­schulen in Mönchengladbach eine Maß­nahme der Stadt­entwicklungs­strategie sind?

Die Stadtspitze verfolgt dezernats­übergreifend die gesamt­städtische Strategie mg+, bei der Familien­grund­schulzentren eine der sozialen Maßnahmen im dortigen Handlungsfeld „Lebensraum“ darstellen. Dies verdeutlicht den hohen Stellenwert und die Wertschätzung dieses Ansatzes. Im Rahmen der Stadtstrategie mg+ erfolgt zudem ein regelmäßiges Controlling anhand von festgelegten Wirkungskennzahlen und Wirkungszielen. Die Einbettung in die städtische Gesamtstrategie bedeutet zudem einen beachtlichen Rückgriff auf Sachmittel, die wir sonst nicht hätten. Damit planen wir z. B. aktuell in Kooperation mit dem Fachbereich Schule und Sport, dem Regionalen Bildungsbüro und weiteren Partnern die Schaffung von offenen und inklusiven Bewegungsangeboten für Kinder der ersten bis sechsten Klassen nach dem erprobten Konzept des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen namens „Open Sunday“. Über den Einsatz von Übungsleitungen und Sporthelferinnen und Sporthelfern soll das freiwillige Engagement von Jugendlichen und Studierenden für Spiel, Sport und Bewegung mit Kindern gefördert werden.

Hinweis zum Text: Die Leitung der Familiengrundschulzentren wird in Mönchengladbach mit „Koordination Familiengrundschulzentren“ betitelt. Zur Differenzierung sprechen wir im Text von Leitung Familiengrundschulzentren (FGZ-Leitung).

WEITERE INFORMATIONEN

Interview: Simone Wans, Freie Journalistin
Foto: © Simone Wans
Kommune: Mönchengladbach
Website: Familiengrundschulzentren Mönchengladbach